Wo stehen wir?
Der migrationspolitische Wandel von der Verhinderung (Stichwort: Festung Europa) hin zur Steuerung von Migration (Stichwort: Migrationsmanagement) ist bereits vielfach beschrieben worden. Tatsache ist, dass dabei die Verhinderungsmechanismen und –praktiken nicht unwichtiger geworden sind, sie haben lediglich ihre Funktion verändert und zum Teil auch ihren Ort. Parallel mit den Selektionsbestrebungen zur partiellen Ermöglichung von Arbeitsmigration wurden und werden Abschottungsinstrumente ausgebaut und exportiert. Gleichzeitig wird die Beantragung von Asyl erschwert, wodurch sich der Modus der Zuwanderung weg vom Asyl hin zu illegalisierten Formen wandelt. Die Debatten um Externalisierung von Wanderungskontrolle und Lagern dürften bekannt sein.
Was heißt das für uns in Deutschland?
Immer weniger MigrantInnen beantragen Asyl, was nicht nur mit den gesunkenen Chancen auf eine Anerkennung zusammenhängt, sondern auch mit der Tatsache, dass Migration nach Mitteleuropa immer schwerer möglich ist. So schaffen die Herrschenden Bedingungen, die sie propagandistisch nutzen können: immer weniger Asylberechtigte gleich weniger Intergrationsprobleme, immer weniger Abschiebungen, immer weniger Abschiebehäftlinge, etc. Dass die Wanderungsabwehr lediglich in den außereuropäischen Raum vorgelagert und das Know-how dorthin exportiert worden ist, bleibt dabei außen vor.
Antirassistische Arbeit hat sich diesen Gegebenheiten zu stellen und anzupassen. War einst die Unterstützung von Asylbewerbern zentral, folgte bald darauf die Sichtbarmachung illegalisierter Migration als Schwerpunkt vieler Initiativen. Schnittpunkt war von jeher die Verhinderung von Abschiebungen, also die praktische, individuelle Durchsetzung der Forderung nach einem generellen Bleiberecht.
Viele dieser Kämpfe werden noch geführt und sie sind nach wie vor notwendig. Schon seit einiger Zeit wird eine internationale Vernetzung antirassistischer Initiativen Europas und Afrikas gefordert und vorangetrieben. Die Forderung nach Bleiberecht wurde ergänzt um die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit.
Nichts desto trotz kommen wir aus dem Sumpf von reinen Abwehrkämpfen unter immer schlechteren asylpolitischen Bedingungen nicht heraus.
Offensive Bündelung
Flüchtlinge und MigrantInnen haben es immer wieder geschafft, ihre Forderungen nach Bleiberecht – unabhängig von politischer Verfolgung – offensiv zu vertreten. Auch diese Kämpfe werden geführt, in den Lagern, den Knästen, in Kirchenasylen und an vielen anderen Orten.
Dennoch befinden wir uns immer in einer Abwehrposition gegen immer drastischere und dreistere Einschnitte und Zumutungen, die es schwierig macht, unsere Vorstellungen von Bewegungsfreiheit offensiv zu vertreten.
Von unserer Idee eines Aktionstages mit einer konkreten Vision, nämlich der Verhinderung von Abschiebungen an diesem Tag, erhoffen wir uns eine offensive Bündelung der Kämpfe. Das Ziel der Proteste, nämlich ein Tag ohne Abschiebungen, ist nicht nur ein symbolisches, sondern ganz konkret und praktisch.
Warum der 30. August?
Der 30. August war schon wiederholt Anlass für bundesweite Proteste gegen Abschiebehaft und die tödliche Migrationspolitik. Er steht symbolisch für alle Opfer von Abschiebehaft und Abschiebungen. 1999 starb der Abschiebehäftling Rachid Sbaai in einer Arrestzelle der JVA Büren an einer Rauchvergiftung. Im Jahr 2000 stürzte sich der 28-jährige Mongole Altankhou Dagwasoundel bei dem Versuch, der Abschiebungshaft zu entfliehen, in den Tod. Schon 1983 hatte sich der türkische Asylbewerber Cemal Kemal Altun aus Angst vor der Abschiebung aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts Berlin zu Tode gestürzt, 1994 starb der Nigerianer Kola Bankole nach Gewalteinwirkung durch BGS-Beamte in der Lufthansa-Maschine, mit der er abgeschoben werden sollte.
Aus diesem Grund wurde der 30. August bereits 2002 im Rahmen der Kampagne gegen Abschiebungen, Knäste und Lager zum Aktionstag erklärt.
Was schwebt uns vor?
Wir wollen keine neue Kampagne anstoßen, die in symbolischem Aktionismus endet und dadurch Kraft kostet und Frustrationen schafft. Wir glauben jedoch, dass die Vision eines Tages ohne Abschiebungen die verstreuten und z.T. isolierten Kämpfe zusammenbringen kann und Anziehungskraft über diesen Tag hinaus besitzt. Die Idee ist groß genug, um Aufsehen zu erregen und Öffentlichkeit zu schaffen, und sie ist realistisch genug, um erfolgreich sein zu können.
Konkret bedeutet dies, dass überall in Deutschland neuralgische Punkte des Abschiebesystems besucht und behindert werden. Das können Wohn- und Aufenthaltsorte von Flüchtlingen und MigrantInnen sein (Knäste, Lager etc.), Agenturen der Abschiebelogistik (Zentrale Aufnahmestellen, Ausländerbehörden etc.) sowie Profiteure des Abschiebegeschäftes (Flughäfen und –linien, Wachschutzfirmen, Dienstleister etc.)
Der Weg dorthin
Wir betrachten dieses Konzeptpapier als Anstoß für eine Debatte innerhalb verschiedener Zusammenhänge. Wir wollen mit euch diskutieren, ob und wie unsere Idee umsetzbar ist. Wie gesagt, dies soll keine Kampagne sein, die isoliert von konkreten Kämpfen und deren Akteuren entwickelt wird und von außen einwirken will. Im Gegenteil dazu erhoffen wir ein lebendiges Aufgreifen und Weiterentwickeln unserer Ideen.
Für globale Bewegungsfreiheit!
Bürengruppe Paderborn
[…] Das vorläufige Konzept kann hier eingesehen werden. […]